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„Beim Herzstillstand zählt jede Minute“


Die Ursache für den plötzlichen Herzstillstand des dänischen Nationalspielers Christian Eriksen ist noch unklar. | © Alexander Lupin - stock.adobe.com

Suchen in den Genen nach Ursache für plötzlichen Herzstillstand bei jüngeren Menschen: Prof. Stefan Kääb (links) und Prof. Martin Borggrefe. | © Kääb: LMU Klinikum, Borggrefe: Universitätsmedizin Mannheim


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Bei der Fußball-EM brach der dänische Nationalspieler Christian Eriksen beim Spiel gegen Finnland in der ersten Halbzeit zusammen und blieb reglos am Boden liegen – ein plötzlicher Herz-Kreislauf-Stillstand. Was das ist, wer davon betroffen sein kann und was für ein Forschungsprojekt dazu am DZHK startet, darüber sprachen wir mit den Kardiologen mit Prof. Stefan Kääb vom LMU Klinikum München und Prof. Martin Borggrefe von der Universitätsmedizin Mannheim.

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Haben Sie das Spiel gesehen?

Kääb: Ja. Und ich habe gedacht, um Gottes Willen, die reagieren nicht schnell genug. Mir war gleich klar, dass Herr Eriksen eine schwere Rhythmusstörung hat, weil er aus dem langsamen Gehen plötzlich und ohne Abstützreaktion mit dem Gesicht auf den Rasen gefallen ist.

Für mich hat es deshalb gefühlt viel zu lange gedauert, bis die Sanitäter mit dem Defibrillator über den Rasen getrabt kamen. Deshalb mein Appell: Als erstes in so einem Fall bei dem Betroffenen Atmung und Vitalfunktionen überprüfen und dann sofort mit der Wiederbelebung, vor allem mit der Herzdruckmassage, beginnen.

Beim Herz-Kreislauf-Stillstand ist die Herzdruckmassage wichtiger als die Beatmung

Wie prüft man Vitalfunktionen als medizinischer Laie?

Kääb: Man schaut ob der Betroffene auf Ansprache oder Berührung reagiert. Wenn nicht, tastet man nach dem Puls, am besten über die Halsschlagader. Da gibt es so eine Delle die schräg nach vorne am Halsmuskel entlang führt. Das kann man bei sich selbst oder dem Partner üben, wenn keine Notsituation ist.

Fehlt der Puls, muss man von einem Herz-Kreislauf-Stillstand ausgehen und unverzüglich mit einer Herzdruckmassage beginnen. Diese ist wichtiger als die Beatmung. Es zählt jede Minute.

Sollte man einen Defibrillator benutzen, wenn einer zur Hand ist?

Kääb: Ja, unbedingt. Der Defi beendet durch einen Stromstoß das gefährliche Kammerflimmern. Das ist der Zustand, wenn das Herz nur noch flimmert und nicht mehr pumpt. Es kommt durch den elektrischen Impuls wieder in den gleichmäßigen Takt.

Die Geräte sind mit „AED“ für automatischer externer Defibrillator gekennzeichnet und starten von selbst eine Sprachanleitung in dem Augenblick, wo man sie von der Wand nimmt. Die führt durch den Prozess, auch wenn man keinerlei Vorkenntnisse hat. Fußballstadien sind damit ausgerüstet und auch Spieler und Personal, wissen eigentlich, was in so einem Fall zu tun ist.

Plötzlicher Herztod bei jungen Menschen eher selten

Die Frage, die sich jeder stellt ist: Wie kann so etwas quasi aus dem Nichts heraus passieren, was sind die Gründe für einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand?

Kääb: Auch wenn man einen anderen Eindruck bekommt, weil der plötzliche Herzstillstand bei Sportlern viel Aufsehen erregt: Bei rund 80 Prozent aller Fälle ist ein Herzinfarkt die Ursache und er trifft vor allem Ältere.

Weitere Ursachen können eine verschleppt Herzmuskelentzündung, eine erbliche hypertrophe Kardiomyopathie, das ist eine Verdickung der Herzwand, und in seltenen Fällen Rhythmusstörungen wie das Long-QT-Syndrom, das Brugada-Syndrom oder oder ähnlich seltene familiäre Arrhythmieerkrankungen sein. Bei jüngeren Menschen unter 40 sind die anderen Ursachen in Summe häufiger als der Infarkt. Was Herr Eriksen hatte, kann nur eine ausführliche Untersuchung ergeben.

Borggrefe: In Deutschland erleiden rund 9000 Personen unter 40 Jahren pro Jahr einen plötzlichen Herztod. Eine australische Untersuchung unter jungen Sportlern hat ergeben, dass rund 50 Prozent vererbbare Formen von Rhythmusstörungen hatten, das sind im Wesentlichen die von Herr Kääb aufgezählten Ionenkanalerkrankungen. Diese machen sich manchmal auch vorab bemerkbar mit schnellem Puls oder Vorhofflimmern.

Auf Spurensuche in den Genen

Bei wieviel Fällen von plötzlichem Herzstillstand ist die Ursache nicht bekannt?

Borggrefe: Bei etwa fünf Prozent. Herr Kääb und ich machen im Rahmen des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung zusammen mit Kollegen aus England und den Niederlanden eine Studie dazu.

Wir suchen im Blut und in den Genen von etwa 1200 Überlebenden des plötzlichen Herzstillstands unter 40 Jahren, bei denen keine Ursache gefunden werden konnte, nach Hinweisen auf Mutationen. Diese charakterisieren wir dann im Labor. Wenn wir etwas finden, beziehen wir auch die Familien mit ein um sie genetisch und medizinisch beraten zu können.

Was übrigens die Wenigsten wissen: Es gibt auch eine mechanische Ursache für Herzstillstand, die sogenannte Contusio cordis. Wenn ein stumpfer Schlag oder Stoß die Brust trifft, kann das Herz ebenfalls stehen bleiben. Seit man das weiß, tragen Eishockeyspieler einen Brustschutz. Weil auch Kinder beim Baseball betroffen waren, ist in den USA für sie ein Softball vorgeschrieben.

Nochmal zum Fußball. Werden Leistungssportler ausreichend durchgecheckt, um solchen Ereignissen vorzubeugen?

Borggrefe: Hier gibt es große Unterschiede in Europa. In Italien sind die Sportkardiologen quasi verantwortlich für die Gesundheit der Sportler. Diese werden sehr ausführlich untersucht mit EKG bis hin zu genetischen Untersuchen nach Risikogenen für Kardiomyopathien und Ionenkanalerkrankungen.

Ich kenne den Fall einer italienischen Schwimmerin, die seit dem dritten Lebensjahr Sport betrieb. Bei ihr fand man bei der Vorbereitung auf die Olympiade ein Risikogen für das Long-QT-Syndrom. Daraufhin wurde sie aus dem Olympiakader ausgeschlossen.

Kääb:
Aus diesem Grund scheuen manche Sportler und Vereine solche Untersuchungen, bei vielen wird nicht einmal ein EKG gemacht. Das ist zwar verständlich, aber natürlich ein Risiko für die Gesundheit der Sportler. Hier müsste EU-weit eine einheitliche Reglung her.

Borggrefe: Dass es auch anders geht zeigt der Fall von Gerald Asamoah, einem deutscher Bundesliga-Spieler mit ghanaischen Wurzeln. Bei ihm wurde 1998 mit nur 20 Jahren nach Herz-Kreislauf-Problemen eine verdickte Herzwand festgestellt. Es wurde ihm geraten aufzuhören.

Er spielte aber weiter, die Mannschaft wusste Bescheid und alle waren informiert, was im Notfall zu tun ist. Am Spielfeldrand war immer ein Defibrillator. Er konnte seine Karriere ohne weitere Vorfälle 2015 erfolgreich beenden.

Leistungssport mit Defi - geht das?

Zur Vorbeugung von Plötzlichem Herzstillstand wird Menschen mit erhöhtem Risiko ein Defibrillator implantiert – auch Christian Eriksen wurde nach dem Vorfall ein Defibrillator eingesetzt. Ist damit Leistungssport möglich?

Borggrefe: Eine europäische Leitlinie besagt, dass Kontaktsportarten wie Fußball oder Basketball mit Defi nicht betrieben werden sollen. Ich kenne aber eine Studie mit amerikanischen College-Sportlern, die zeigt, dass das unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen und bei engmaschiger ärztlicher Betreuung doch möglich ist.

Das Gespräch führte Christine Vollgraf, DZHK

 

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