Zu Beginn der Pandemie wurde eine Frage viel diskutiert: Welche Rolle spielen blutdrucksenkende Medikamente für den Verlauf der Erkrankung? Denn bestimmte häufig eingesetzte Bluthochdruckmedikamente wirken am ACE2-Rezeptor. Über diesen gelangt auch das neuartige Coronavirus in die Wirtszelle. Die Medikamente standen im Verdacht, die Zahl der Rezeptoren zu erhöhen, was zu einer höheren Infektanfälligkeit hätte führen kann.
Blutdruckmedikamente führen nicht zu mehr Virus-Rezeptoren auf den Zellen
Das ist offensichtlich nicht der Fall. In der aktuellen Studie untersuchte das Team einzelne Zellen aus den Atemwegen von COVID-19-Patienen. Die blutdrucksenkenden Medikamente bewirken offensichtlich nicht, dass mehr Rezeptoren auf den Zellen erscheinen, was den Eintritt des Virus in die Zellen und einen schweren Verlauf begünstigen würde. Im Gegenteil hatten Herzkreislaufpatienten, die blutdrucksenkende ACE-Hemmer erhielten, sogar fast das gleiche Risiko für einen schweren Verlauf wie COVID-19-Patienten ohne Herzkreislaufprobleme.
ACE-Hemmer verhindern überschießende Immunantwort
Weiter ergaben die Einzelzelluntersuchen von Covid-19-Patienten und gesunden Kontrollpersonen, dass die Immunzellen der Herzkreislaufpatientinnen und -patienten schon vor der Infektion mit dem Coronavirus voraktiviert waren. Nach Kontakt mit dem Virus entwickelten diese Patienten häufiger eine überschießende Immunreaktion, die mit einem schweren Krankheitsverlauf verbunden war. Eine Behandlung mit ACE-Hemmern, nicht aber mit Angiotensin-Rezeptorblockern, konnte diese überschießende Immunantwort nach Infektion mit dem Corona-Virus verhindern.
Bestimmte Blutdruckmedikamente verzögern Abbau des Virus
Weiterhin stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass die blutdrucksenkenden Medikamente auch einen Einfluss darauf haben, wie schnell das Immunsystem die Viruslast, also die Konzentration des Virus im Körper, abbauen kann. Sie fanden einen deutlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Behandlungsformen gegen Bluthochdruck. Bei den mit Angiotensin-II-Rezeptorblockern behandelten Patienten war der Abbau der Viruslast deutlich verzögert, was ebenfalls zu einem schwereren Verlauf der COVID-19-Erkrankung beitragen könnte. Diese Verzögerung fanden sie nicht bei den Patientinnen und Patienten, die ACE-Hemmer zur Behandlung ihres Bluthochdrucks erhalten hatten.
„Unsere Studie gibt keine Hinweise darauf, dass die Behandlung mit bluthochdrucksenkenden Medikamenten das Infektionsrisiko für das neuartige Coronavirus erhöht. Eine Behandlung des Bluthochdrucks mit ACE-Hemmern könnte für die Patienten, die an COVID-19 erkranken, allerdings günstiger sein als die Therapie mit Angiotensin-II-Rezeptor Blockern, was in randomisierten Studien aktuell weiter untersucht wird“, fasst Prof. Ulf Landmesser* die Ergebnisse der in Nature Biotechnology veröffentlichten Untersuchungen zusammen.
* Prof. Ulf Landmesser ist Ärztlicher Leiter des Charité Centrums für Herz-, Kreislauf- und Gefäßmedizin, Direktor der Medizinischen Klinik für Kardiologie und Berlin Institut of Health Professor für Kardiologie am Campus Benjamin Franklin der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Priciple Investigator am DZHK
Originalarbeit: Hypertension delays viral clearance and exacerbates airway hyperinflammation in patients with COVID-19, Nat. Biotechnology, DOI: 10.1038/s41587-020-00796-1
Quelle: Pressemitteilung Berlin Institute of Health (BIH)