Die Blutgruppe könnte Einfluss auf die Stärke der Covid-19-Symptome haben
Warum erkranken manche Menschen schwer an Covid-19, während andere kaum Symptome zeigen? Eine Antwort darauf könnte in ihren unterschiedlichen Blutgruppen liegen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass Menschen mit der Blutgruppe A ein um etwa 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 tragen als Menschen mit anderen Blutgruppen. Menschen mit Typ-0-Blutgruppe hingegen waren um knapp 50 Prozent besser vor einer ernsten Covid-19-Erkrankung geschützt.
Für die Studiengruppe um den Molekularbiologen Prof. Dr. Andre Franke vom Universitätsklinikum Schleswig-Holsteinund den norwegischen Internisten Prof. Dr. Tom Karlsen haben Ärztinnen und Ärzte mehrerer Krankenhäuser der Corona-Epizentren in Norditalien und Spanien Blutproben ihrer Covid-19-Patienten nach Kiel gesandt. Insgesamt waren es Proben von 1.980 Intensivpatientinnen und -patienten, die mit Sauerstoff behandelt oder an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten. Für die Kontrollgruppe wurden aus der Bevölkerung dieser Länder 2.205 zufällig ausgewählte Frauen und Männer gewonnen. Innerhalb von nur drei Wochen wurde im Institut für Klinische Molekularbiologie in Kiel die DNA aus den Blutproben isoliert und aus jeder Einzelnen 8,5 Millionen Positionen des Erbguts mit sogenannten Biochips (SNP-Arrays) vermessen.
„Mithilfe dieser großen Datenmenge haben wir wirklich interessante Regionen im Genom identifiziert, die das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 erhöhen beziehungsweise verringern“, sagt Prof. Dr. David Ellinghaus, der die bioinformatischen und statistischen Analysen durchführte. „Wir konnten, vereinfacht gesprochen, auf einer sehr großen Landkarte zeigen, wo die Musik spielt.“ Insgesamt dauerte die Studie weniger als zwei Monate.
Zweifach erhöhtes Risiko für schweren Covid-19-Verlauf bei bestimmter genetischer Anlage
Neben der signifikanten Auffälligkeit im AB0-Blutgruppen-Lokus, dem Genort, durch den die individuelle Blutgruppe bestimmt wird, fanden die Forscherinnen und Forscher eine noch höhere Effektstärke für eine genetische Variante auf dem Chromosom 3. Welches der mehreren Kandidatengene, die dort lokalisiert sind, dafür verantwortlich ist, ist derzeit nicht genau zu ermitteln, allerdings konnte die Analyse nachweisen, dass Anlageträger einem zweifach erhöhtem Risiko ausgesetzt sind, schwer an Covid-19 zu erkranken, als Menschen, die diese Variante nicht tragen. Unter den italienischen und spanischen Patientinnen und Patienten, die so krank waren, dass sie nicht nur mit Sauerstoff versorgt, sondern an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten, trug eine besonders hohe Zahl diese genetische Anlage. Ein Resultat, das sich ebenso für die Verteilung der Blutgruppen zeigte: Unter den besonders schwer Erkrankten fanden sich auch besonders viele Menschen mit Blutgruppe A.
„Die Ergebnisse waren für uns sehr spannend und überraschend“, sagt Prof. Franke. Gerade die Region auf Chromosom 3 war zuvor noch nicht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Covid-19 in Zusammenhang gebracht worden. In anderen Regionen im Genom, für die ein Effekt auf die Erkrankung vermutet worden war, zeigten sich hingegen keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den gesunden Probanden und den Patienten; so weder in jenem Chromosomenabschnitt 6p21, der mit dem Immunsystem und vielen Infektionserkrankungen assoziiert ist, noch in dem Gen IFITM3, das mit der Influenza in Zusammenhang gebracht wird.
Erkenntnisse verbessern Grundlage für Entwicklung von Medikamenten
„Mit dem Chromosom 3 und dem AB0-Blutgruppen-Lokus beschreiben wir echte Ursachen für einen schweren Verlauf von Covid-19“, sagt Prof. Franke. „Unsere Ergebnisse schaffen daher eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung von Wirkstoffen, die an den gefundenen Kandidatengenen ansetzen können. Eine klinische Studie, in der etwa ein Medikament getestet wird, hat erwiesenermaßen doppelt so häufig Erfolg, wenn eine genetische Evidenz für das Target bereits vorliegt.“ Auch könnten die Resultate zu einer verbesserten Risikoabschätzung für einen schweren Verlauf von Covid-19 bei Patienten beitragen.
Aktualisierung 17.6.2020: Die Studie wurde im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.
Genomewide Association Study of Severe Covid-19 with Respiratory Failure. Ellinghaus, D,. Degenhardt, F.,Bujanda, L., Buti, M., Albillos, A., Invernizzi, P., Fernández, J., Prati, D., Baselli, G., Asselta, R., Grimsrud, M.M., Milani, C., et al. New England Journal of Medicine (2020)
DOI: 10.1056/NEJMoa2020283
Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Prof. Dr. Andre Franke, Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, a.franke@ikmb.uni-kiel.de
Quelle: Pressemitteilung Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
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