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Mechanismus aufgeklärt: Wie das Coronavirus Blutgefäße im Hirn schädigt

Das Coronavirus befällt nicht nur Lunge und Atemwege, sondern beeinflusst weitere Organe. In einer kürzlich im Fachmagazin Nature Neuroscience publizierten Studie erklärt ein Forschungskonsortium unter Beteiligung der Deutschen Zentren für Lungenforschung (DZL), Infektionsforschung (DZIF) und Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), wie das Coronavirus die kleinen Blutgefäße im Hirn schädigt.

Gersuchsverlust ist eine neurologisches Symptom der Coronainfektion (Foto: istck/Nenad Cavoski)

Die Infektion mit dem Coronavirus erfolgt über die Atemwege. In diesen spielt sich auch ein Großteil des Krankheitsgeschehens ab. Bereits früh war klar, dass auch andere Organe und die Blutgefäße betroffen sind, weshalb akut und auch später neurologische Symptomen auftreten können. So ist häufig der Geschmack gestört und es kommt zu epileptischen Anfällen, Schlaganfällen, Bewusstseinsverlust und Verwirrung. Wie das Coronavirus diese kognitiven und psychiatrischen Symptome auslöst, ist weitgehend ungeklärt. So ist nicht klar, ob das Coronavirus Hirnzellen direkt befällt. Bekannt ist dagegen, dass es Blutgefäße angreift – auch im Gehirn.

Ein internationales Konsortium unter Leitung des Lübecker Pharmakologen Prof. Markus Schwaninger (DZHK) wollte wissen, welcher Mechanismus für die Hirnschädigungen verantwortlich ist. Deshalb nahm die Gruppe die Mikroblutgefäße und die sie auskleidenden Endothelzellen in den Blick.    

Virus löst Zelltodprogramm aus

Sie fanden heraus, dass das Coronavirus tatsächlich über den ACE2-Rezeptor in Endothelzellen eintritt und eine charakteristische, im Mikroskop erkennbare Pathologie auslöst. Dabei zerstört ein Virusenzym in den Zellen das körpereigene Protein NEMO und setzt ein Zelltodprogramm in Gang. Ein zentraler Befund der Studie ist, dass auf diese Weise Endothelzellen und die Blut-Hirn-Schranke zerstört werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten somit erstmals einen Mechanismus, wie das Virus die Mikrogefäße im Hirn direkt schädigt.

Mögliche Therapiewege aufgezeigt

Die Forscherinnen und Forscher fanden eine Möglichkeit, den Zelltod-Mechanismus zu blockieren. Hieran beteiligt sind weitere Proteine. Blockiert man diese im Tierversuch, sterben die Endothelzellen nicht ab. Das gesamte Zelltod-Programm wird deaktiviert – unabhängig davon, ob NEMO durch das Virusenzym gespalten wurde oder nicht. Substanzen, die Zelltodprotein blockieren, befinden sich bereits am Anfang der klinischen Testung. „Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass solche Medikamente insbesondere die neurologischen Long-Covid-Symptome lindern könnten“, sagt Markus Schwaninger.

Erfolgreiche Kooperation mehrerer Deutscher Zentren der Gesundheitsforschung (DZG)

Für die Studie arbeiteten Forscherinnen und Forscher der Deutschen Zentren für Lungenforschung (DZL), Infektionsforschung (DZIF) und Herz-Kreislaufforschung (DZHK) interdisziplinär zusammen. Sie nutzten verschiedene Tiermodelle und Proben von Covid-19-Patienten. Eine beeindruckende Anzahl verschiedener Methodiken kam zum Einsatz. Besonders zu nennen sind dabei mikroskopische Verfahren zur Sichtbarmachung der kleinen Blutgefäße des Hirns. „Ohne unser extrem hochauflösendes STED-Mikroskop* hätte die Bildgebung an Hirngefäßen so nicht durchgeführt werden können“, erläutert Prof. Peter König (Universität Lübeck) vom DZL. Er hat das Gerät gemeinsam mit Prof. Gereon Hüttmann (ebenfalls ARCN) und Studienleiter Schwaninger (DZHK) über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beschafft.

Die nun in Nature Neuroscience publizierten Ergebnisse zeigen die Bedeutung der Grundlagenforschung als Impulsgeber für die Entwicklung von Medikamenten, die sogenannte Translation.

Originalpublikation: The SARS-CoV-2 main protease Mpro causes microvascular brain pathology by cleaving NEMO in brain endothelial cells. Wenzel J, Lampe J, Müller-Fielitz H, Schuster R, Zille M, Müller K, Krohn M, Körbelin J, Zhang L, Özorhan Ü, Neve V, Wagner JUG, Bojkova D, Shumliakivska M, Jiang Y, Fähnrich A, Ott F, Sencio V, Robil C, Pfefferle S, Sauve F, Coêlho CFF, Franz J, Spiecker F, Lembrich B, Binder S, Feller N, König P, Busch H, Collin L, Villaseñor R, Jöhren O, Altmeppen HC, Pasparakis M, Dimmeler S, Cinatl J, Püschel K, Zelic M, Ofengeim D, Stadelmann C, Trottein F, Nogueiras R, Hilgenfeld R, Glatzel M, Prevot V, Schwaninger M, 2021, Nat Neurosci 24: 1522-1533

Quelle: Pressemitteilung DZL-ARNC