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Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Typ-2-Diabetes präziser vorhersagen

Schlanke, stoffwechselkranke Menschen haben ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als fettleibige, stoffwechselgesunde Menschen. Solch eine Heterogenität im Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch für Typ-2-Diabetes, wird seit einiger Zeit beobachtet. Ein Übersichtsartikel in "Lancet Diabetes & Endocrinology" zeigt die Zusammenhänge auf und welche Chancen computergestützte Clusteranalysen bieten, um das Risiko besser abschätzen zu können.

Fettleibige Menschen mit gesundem Stoffwechsel haben ein um 45 Prozent höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei normalgewichtigen aber stoffwechselkranken Menschen steigt das Risiko sogar um 100 Prozent. | © SIphotography via Canva.com

Wissenschaftler suchen nach immer besseren Modellen, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes präziser vorhersagen zu können. Prof. Norbert Stefan von Helmholtz Munich und der Universität Tübingen und Prof. Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke haben im "Lancet Diabetes & Endocrinology" eine Übersichtsarbeit veröffentlicht, in der sie zwei neue Konzepte zur Risikovorhersage vorstellen. Die Arbeit zeigt, dass es auf dem Gebiet der kardiometabolischen Forschung möglicherweise einen riesigen, noch unentdeckten Schatz zu heben gibt.

Beide Wissenschaftler gehören zum Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD). Matthias Schulze ist außerdem Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung.

In dem Artikel beschreiben die Autoren zum Einen eine neue Definition von metabolischer Gesundheit: Nämlich, dass schlanke, stoffwechselkranke Menschen ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, als fettleibige, stoffwechselgesunde Menschen und die Verteilung des Körperfetts eine Rolle spielt. Zum Anderen könnten neuartige computergestützte Clusteranalysen helfen, das Risiko von Komplikationen für den Einzelnen besser abzuschätzen: Die jetzt analysierten Daten zeigen, dass das Risiko für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehr heterogen ist und auf ganz unterschiedliche Faktoren zurückzuführen ist. Der Ansatz könnte helfen, Präzisionsmedizin in der klinischen Praxis besser umzusetzen.

"Von großem Interesse ist, ob die neuen kardiometabolischen Risikocluster auch dabei helfen, Untergruppen von Menschen mit einem ausgeprägten Risiko für kardiometabolische Erkrankungen zu identifizieren", sagt Norbert Stefan. Um diese Frage zu beantworten, diskutieren die Autoren des Übersichtsartikels die Ergebnisse der wichtigsten Ansätze zur Reduktion von komplexen Datensätzen, die unter dem Begriff "Clusteranalyse" zusammengefasst werden können.

Normalgewichtig aber stoffwechselkrank bedeutet hohes Risiko für Herz und Kreislauf

Unter den 20 weltweit führenden Risikofaktoren für den Verlust von Lebensjahren im Jahr 2040 werden Bluthochdruck, Fettleibigkeit und ein erhöhter Nüchternblutzuckerwert die größte Bedeutung haben. Zusammen mit anderen Risikofaktoren, wie einem niedrigen HDL-Cholesterin- und hohem Triglyzerid-Wert, fließen sie in die Bewertung der metabolischen Gesundheit ein.

In den meisten der über tausend bisher veröffentlichten Studien gelten Menschen als stoffwechselgesund, wenn weniger als zwei dieser Risikofaktoren oder eine pharmakologische Behandlung für diese Erkrankungen vorliegen. Dabei wurden Subphänotypen, wie Menschen mit metabolisch ungesundem Normalgewicht (metabolically unhealthy normal weight; MUHNW) und metabolisch gesunder Adipositas (metabolically healthy obesity; MHO) identifiziert, die sich in ihrem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark unterscheiden.

In einer vorhergehenden Meta-Analyse von 2016 verglich das Forscherteam um Matthias Schulze und Norbert Stefan diese beiden Gruppen mit metabolisch gesunden, normalgewichtigen Personen (metabolically healthy normal weight; MHNW). Sie fanden heraus, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Personen mit MHO um 45 Prozent und bei Personen mit MUHNW sogar um 100 Prozent erhöht ist.

Metabolisch gesund? Das hängt auch von der Körperfettverteilung ab

In ihrem aktuellen Übersichtsartikel fassen die beiden DZD-Forscher das Wissen über diese Zusammenhänge zusammen und beschreiben eine neue Definition von metabolischer Gesundheit: Unter Berücksichtigung der Risikofaktoren Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und einem hohen Verhältnis zwischen Taillen- und Hüftumfang – dem sogenannten Taille-Hüft-Index - fanden sie heraus, dass das Sterblichkeits-Risiko aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit MUHNW um 100 Prozent erhöht war, bei Menschen mit MHO jedoch nicht. Die Daten stammten aus der US National Health and Nutrition Examination Survey III- und UK Biobank-Studie. „Diese Daten zeigen, wie wichtig es ist, die Auswirkungen der Körperfettverteilung bei der Definition der metabolischen Gesundheit zu berücksichtigen", betont Matthias Schulze, der am DIfE die Abteilung Molekulare Epidemiologie leitet.

Die Untersuchungen wurden meist bei Menschen mit Typ-2-Diabetes oder bei Personen mit einem Risiko für Typ-2-Diabetes durchgeführt. Die Cluster-Ansätze basieren ebenfalls auf routinemäßig verfügbaren, klinischen Variablen, können aber auch komplexere Daten, wie z. B. genetische Daten, einbeziehen. Zu den Untergruppen, die sich aus diesen Cluster-Analysen ergeben, gehören u. a. Menschen, die überwiegend eine geringe Insulinsekretion, eine Insulinresistenz, eine Fettleber, eine viszerale Adipositas, einen leichten altersbedingten Typ-2-Diabetes oder einen leichten Adipositas-bedingten Typ-2-Diabetes aufweisen.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sowohl das Konzept der metabolischen Gesundheit, als auch der Cluster-Ansatz, den bereits etablierten Risikovorhersagemodellen nicht überlegen sind. Beide Ansätze könnten jedoch informativ sein, um das kardiometabolische Risiko in Untergruppen besser vorherzusagen, z. B. bei Personen in verschiedenen BMI-Kategorien oder bei Menschen mit Typ-2-Diabetes.

Sie betonen auch, dass die Anwendbarkeit der Konzepte durch die behandelnden Ärzt:innen und die Kommunikation des kardiometabolischen Risikos mit den Patient:innen für das Konzept der metabolischen Gesundheit einfacher sein könnte. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Einstufung als stoffwechselgesund oder -ungesund oder die Zuordnung zu einem bestimmten kardiometabolischen Risikocluster in den meisten Fällen eine vorübergehende Zuweisung sein wird. Die Ansätze zur Identifizierung von kardiometabolischen Risikoclustern seien jedoch nützlich, um Personen bestimmten pathophysiologischen Risikogruppen zuzuordnen. Inwieweit diese Zuordnung die Risikobewertung und das Ansprechen auf die Behandlung verbessern könnte, muss noch sorgfältig untersucht werden.

Originalpublikation: Stefan N, Schulze MB. Metabolic health and cardiometabolic risk clusters: implications for prediction, prevention, and treatment. Lancet Diabetes Endocrinol 2023, https://doi.org/10.1016/S2213-8587(23)00086-4

Vollständiges PDF für 50 Tage nach Erscheinungsdatum 5. Mai 2023 zugänglich unter: https://authors.elsevier.com/a/1h1U47tNucn78W

 

Quelle: Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD)