Wenn die Mitralklappe nicht richtig schließt, führt das oft zu Atemnot und verminderter Leistungsfähigkeit. Eine Million Deutsche leiden an einer behandlungsbedürftigen Mitralklappeninsuffizienz, und ein offener Herzklappenersatz ist für viele, vor allem ältere Patienten, zu riskant. Prof. Dr. Georg Lutter aus Kiel hat einen Stent entwickelt, der minimalinvasiv am schlagenden Herzen eingesetzt werden kann. Unterstützung erhielt er dabei vom DZHK.
„Ich war schon immer ein Daniel Düsentrieb“, sagt Georg Lutter. Schon als Kind habe der heute 59-Jährige gerne gezeichnet, repariert und experimentiert - nicht immer zur Freude seiner Eltern. Seit 2009 ist er Professor für Experimentelle Herzchirurgie und Herzklappenersatz an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Und ein Tüftler ist er geblieben: Der „Lutter-Stent“, ein weltweit einzigartiger Mitralklappenersatz, ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit und eines plötzlichen Geistesblitzes.
Das Geniale an dieser Erfindung: Der Stent kann im schlagenden Herzen eingesetzt werden, ohne Vollnarkose oder offene Herz-OP. Es ist nur noch ein minimalinvasiver Eingriff nötig, bei dem der Stent über einen kleinen Schnitt im Brustkorb ins Herz geführt und dort unter Ultraschall- und Röntgenkontrolle positioniert wird. Der Eingriff dauert etwa 1,5 Stunden und verbessert die Funktion der Mitralklappe erheblich.
Auf die Mitralklappe wirken enorme Strömungs- und Bewegungskräfte
Viele Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz sind älter und haben Begleiterkrankungen, was eine Operation am offenen Herzen zu riskant macht. Daher bestand ein großer Bedarf an schonenderen Behandlungsverfahren. Eine defekte Aortenklappe kann bereits seit einiger Zeit über einen Katheter am schlagenden Herzen repariert werden. „Aber bei der Mitralklappe ist das wesentlich schwieriger“, sagt Georg Lutter. „Die Mitralklappe befindet sich an einer heiklen Stelle, die durch Muskelkontraktion und Strömungsdruck enormen Bewegungskräften ausgesetzt ist. Hier eine Reparatur am schlagenden Herzen vorzunehmen, ist eine echte Herausforderung.“
Der Mitralklappenstent, mit dem inzwischen fast 2.000 Menschen erfolgreich behandelt wurden, ist das Ergebnis jahrelanger Entwicklungsarbeit. Ursprünglich hatte Lutter die Idee, den Stent im Muskelring der Mitralklappe zu befestigen. Lange hat er sich darüber den Kopf zerbrochen - ohne durchschlagenden Erfolg. Dann, im Flugzeug auf dem Rückweg von einem Kongress, kam der Geistesblitz: Ein Faden, der mit einer Art Knopf außen am Herzen befestigt wird, ist die Lösung des Problems.
Wieder festen Boden unter den Füßen, eilte Lutter ins Labor und testete die Idee zunächst an einem isolierten Schweineherzen mit einem Knopf seines Kittels. Und es funktionierte: Der Knopf an Lutters ausgereiftem Stent sieht inzwischen anders aus und heißt Pad, aber das Prinzip ist das gleiche. Der kelchförmige Teil des Stents, der über die defekte Mitralklappe gestülpt wird, besteht aus einem Material, das seine Form verändern kann. Durch den Wechsel von Erschlaffung und Anspannung der linken Herzkammer öffnet und schließt sich der Kelch passiv - genau wie die natürliche Herzklappe.
Weltpremiere im Jahr 2013
Die Weltpremiere fand 2013 statt: Lutter setzte gemeinsam mit Prof. Lucian Lozonschi von der Universität Wisconsin, USA, der an der Entwicklung des Stents beteiligt war, erstmals bei einem Patienten einen Mitralklappenstent über einen Katheter am schlagenden Herzen ein. Seit 2020 ist der Tendyne-Stent in ganz Europa (Conformité Européenne, CE) für den Einsatz bei Hochrisikopatienten zugelassen. Tendyne ist der Name eines amerikanischen Start-up-Unternehmens, das Lutters Erfindung aufgriff und zu einem marktreifen Produkt weiterentwickelte. Später übernahm der Global Player Abbott die Produktion des Tendyne-Stents.
Stent-Forschung geht weiter
Die Technologie des Mitralklappenstents wird kontinuierlich weiterentwickelt und überprüft. „Es ist wichtig, durch kontrollierte Studien genau zu dokumentieren, welche Patienten profitieren, wie die Langzeitergebnisse aussehen und wie hoch die Risiken sind - auch im Vergleich zur klassischen Operation“, sagt Lutter. Vorliegende Studien bescheinigen dem Mitralklappenstent Erfolgsraten von über 98 Prozent nach einem Jahr. Langzeitbeobachtungen einzelner Patienten zeigen, dass der Stent auch nach fast 10 Jahren zuverlässig funktioniert und die Leistungsfähigkeit sowie die Lebensqualität der Patienten nachhaltig verbessert.
Die akute Sterblichkeit in den ersten 30 Tagen nach dem Eingriff liegt laut Studien bei etwa 6 Prozent. Das erscheint hoch, aber Lutter erklärt: „Wir behandeln fast ausschließlich schwerkranke Hochrisikopatienten, für die eine Operation am offenen Herzen nicht infrage kommt. Sonst wäre die akute Sterblichkeit sicher niedriger.“
Es ist keineswegs so, dass die klassische Herzklappenchirurgie ausgedient hätte. Bei Bakterienbefall wird nach wie vor klassisch operiert, weil die kontaminierte Klappe entfernt werden muss. Die Indikationen für die kathetergestützte Stentimplantation sind in ihrer heutigen Form jedoch nicht in Stein gemeißelt.
„Wie zu erwarten“, so Georg Lutter, „haben wir auch Anfragen von jüngeren Patienten ohne erhöhtes Operationsrisiko, die sich lieber für die weniger belastende Stentimplantation entscheiden, da sie hoffen, schneller wieder fit zu sein. Für diese Patienten fehlen derzeit noch Langzeitdaten. Ich gehe jedoch davon aus, dass sich die Indikationen für die Stenttechnologie aufgrund überzeugender Studienergebnisse in absehbarer Zeit deutlich erweitern werden.“