„Einst stritten sich Nordwind und Sonne, wer von ihnen beiden wohl der Stärkere wäre, als ein Wanderer, der in einen warmen Mantel gehüllt war, des Weges daherkam…“ So beginnt eine Erzählung, die dem altgriechischen Dichter Äsop zugeschrieben wird. Horst S. aus Berlin spricht sie jeden Tag gleich zweimal laut in ein Mikrofon. Allerdings nicht, weil er sich für antike Fabeln begeistert – sondern weil seine behandelnden Ärzt:innen über den Klang seiner Stimme darüber Auskunft bekommen sollen, wie es um sein Herz steht.
Der 88-jährige Rentner leidet unter schwerer Herzinsuffizienz und ist einer der ersten Teilnehmenden einer Studie, die den Wissenschaftler:innen neue Erkenntnisse über die Anwendung und Wirksamkeit der Stimmanalyse mit Hilfe künstlicher Intelligenz bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz liefern soll. Sie wird am Deutschen Herzzentrum der Charité und der US-amerikanischen Mayo Clinic unter dem Titel: „AI-Based Voice Analysis for Monitoring Patients Hospitalized with Acute Decompensated Heart Failure“, kurz: „VAMP-HF“, durchgeführt.
Künstliche Intelligenz zur engmaschigen Überwachung bei Herzkrankheit
In der ersten Phase der Studie sollen jeweils 25 Patient:innen auf den kardiologischen Stationen eingeschlossen werden, die an fortgeschrittener Herzinsuffizienz mit „hydropischer Dekompensation“ leiden: Durch die stark verminderte Pumpfunktion des Herzens kann nicht mehr genug Flüssigkeit aus dem Gewebe zu den Ausscheidungsorganen transportiert werden, es kommt zu Flüssigkeitsansammlungen im Körper und in der Folge zu einer weiteren, oft lebensbedrohlichen Verschlechterung des Allgemeinzustands der betroffenen Patient:innen – insbesondere durch Wasser in der Lunge.
Die Behandlung der hydropischen Dekompensation umfasst neben Medikamenten zur Stärkung des Herzens auch Diuretika, also Medikamente zur besseren Ausscheidung von Flüssigkeit. Die Wirksamkeit der Therapie gilt es für die Kardiolog:innen nun engmaschig zu überwachen und sie schnellstmöglich anzupassen, wenn der gewünschte Erfolg ausbleibt.
Dabei könnte die menschliche Stimme „als Frühwarnsystem“ künftig eine wichtige Rolle spielen, sagt PD Dr. Felix Hohendanner, Oberarzt am Deutschen Herzzentrum der Charité und klinischer Leiter der VAMP-HF-Studie, denn: „Mehr Flüssigkeit im Körper führt zu einer veränderten Ausbreitung von Schallwellen und damit auch zur Veränderung der Stimme, die für das menschliche Ohr zwar meist nicht hörbar ist, aber dennoch gemessen werden kann.“
Künstliche Intelligenz sagt Behandlungserfolg voraus
Zum Einsatz kommt dabei die Software des Berliner Start-ups Noah Labs, das sich unter anderem auf die Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) bei der stimmbasierten Diagnostik von Herzerkrankungen spezialisiert hat und das mit der Stiftung Deutsches Herzzentrum Berlin eine strategische Partnerschaft eingegangen ist.
Die Noah Labs-KI analysiert in den Stimmproben der Proband:innen hunderte von Parametern und erfasst dabei selbst kleinste Veränderungen. Im Abgleich mit der von den Herzschwäche-Patient:innen ausgeschiedenen Flüssigkeitsmenge „lernt“ die KI nun, die Wirksamkeit der Behandlung vorherzusagen – sodass die Ärzt:innen gegensteuern können, noch ehe es zu entsprechenden Symptomen kommt.
Unkompliziert und sicher durchführbar
Im Vergleich zu einigen anderen Messmethoden berge die Stimmabgabe für die selbstständige Durchführung zu Hause viele Vorteile, sagt Felix Hohendanner: „Sie ist schmerzfrei, schnell und unkompliziert, birgt kaum Fehlerquellen und benötigt außer einem Aufnahmegerät wie einem Smartphone keine technischen Hilfsmittel.“ Künftig sollen die Stimmproben sogar mit einem einfachen Anruf übermittelt werden.
Zudem läßt sich die Methode der KI-basierten telemedizinischen Stimm-Auswertung auch bei verschiedenen anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen anwenden, so der Kardiologe: „Wir stehen hier erst am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung.“
Studie: „AI-Based Voice Analysis for Monitoring Patients Hospitalized with Acute Decompensated Heart Failure“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner: PD Dr. Felix Hohendanner, Oberarzt Kardiologie, DHZC
Quelle: Pressemitteilung DHZC