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Zellpolarität mithilfe von KI entschlüsseln

Eine Open-Source-Software erleichtert die Analyse der Zellpolarität mit Fluoreszenz-Mikroskopie. Wie DZHK-Forschende vom Max Delbrück Center und Wissenschaftler von Helmholtz Imaging in „Nature Communications“ berichten, könnte die Innovation die Erforschung biologischer Prozesse wie der Geweberegeneration optimieren.

Die Abbildung zeigt wie sich die Zellpolarität ändert, wenn Endothelzellen verschiedenen Scherkräften ausgesetzt sind – Bedingungen, die den Blutfluss nachahmen. © Julia Kraxner, Emir Akmeric (Gerhardt Lab), Jan Philipp Albrecht (Helmholtz Imaging)

Trotz äußerer Symmetrie zeigt der menschliche Körper zahlreiche asymmetrische Merkmale – auch auf zellulärer Ebene. Diese sogenannte Zellpolarität liefert wichtige Hinweise auf physiologische und pathologische Prozesse. Ihre Analyse bleibt jedoch herausfordernd, da gängige mikroskopische Werkzeuge oft inkompatibel sind.

In einer Studie unter der Leitung von Dr. Wolfgang Giese aus der Arbeitsgruppe „Integrative Vaskuläre Biologie“ von Professor Holger Gerhardt am Max Delbrück Center und Jan Philip Albrecht, einem Informatiker, der mit Deborah Schmidt (Technologieplattform Image Data Analysis) bei Helmholtz Imaging zusammenarbeitet, stellen die Forschenden Polarity-JaM vor. Das frei verfügbare und benutzerfreundliche Open-Source-Werkzeug analysiert Zellpolaritätsdaten aus Fluoreszenzmikroskopie-Bildern. Die Studie wurde in „Nature Communications“ veröffentlicht. Wolfgang Giese gehört zum Nachwuchsnetzwerk Young-DZHK, Holger Gerhardt ist im Vorstand des DZHK.

„Wir wollten ein Tool entwickeln, das es auch Wissenschaftler*innen mit minimaler Programmiererfahrung ermöglicht, Zellpolaritätsdaten einfach und reproduzierbar zu untersuchen und zu analysieren“, sagt Giese. „Polarity-JaM kombiniert zirkuläre Statistik mit benutzerfreundlichen Visualisierungen und hilft Wissenschaftler*innen so dabei, Muster im Zellverhalten aufzudecken, die bisher nur schwer quantitativ zu erfassen waren.“

Eine Herausforderung in der Bildanalyse bei Zellen meistern

Forschende untersuchen Zellpolarität, um Prozesse wie Geweberegeneration, Organentwicklung und Immunantworten besser zu verstehen. Trotz aller Fortschritten in der Fluoreszenzmikroskopie, die es einfach gemacht haben, detaillierte Bilder der Zellpolarität aufzunehmen, sind die Werkzeuge zur Analyse der Daten weiterhin fragmentiert, zeitaufwändig oder erfordern spezielle Programmierkenntnisse. Dies erschwert reproduzierbare Forschung in großem Maßstab erheblich.

Polarity-JaM kombiniert die Analyse von Zellpolarität, Morphologie und von den Kontaktverbindungen der Zellen untereinander mit weiteren Funktionen in einem einzigen, umfassenden Softwarepaket, das Deep Learning nutzt.

Das Tool misst und visualisiert verschiedene Aspekte der Zellpolarität, darunter die Position der Golgi-Apparate im Verhältnis zu den Zellkernen, die Form und Ausrichtung von Zellen, die Position zellulärer Organellen und vieles mehr. Um die Leistungsfähigkeit des Tools zu demonstrieren, untersuchte das Forschungsteam, wie Endothelzellen ihre Form, Ausrichtung und Signalreaktionen verändern, wenn sie unterschiedlichen Scherkräften ausgesetzt sind – Bedingungen also, die den Blutfluss nachahmen.

Ein besseres Verständnis der Zellpolarität kann helfen zu erklären, wie der Körper gesunde Organe und Gewebe erhält und was bei Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Entzündungsprozessen schiefläuft, erläutert Gerhardt. „Dass Segmentierungswerkzeugen, die auf maschinellem Lernen basieren, Zellen in einem mikroskopischen Bild fast so präzise erkennen wie ein menschlicher Experte oder eine menschliche Expertin – das hat unsere Erwartungen übertroffen“, fügt er hinzu. „Das zeigt das enorme Potenzial für weitere Automatisierung in der biologischen Forschung und darüber hinaus. So haben Wissenschaftler*innen mehr Zeit für tiefgehende Analysen und wirkliche Entdeckungen.“

Eine frei zugängliche Lösung

Die Forschenden haben die Dokumentation und Tutorials zu Polarity-JaM unter  https://polarityjam.readthedocs.io veröffentlicht. Die Website enthält ein Video mit Anleitungen, damit die Nutzer*innen das Tool leicht erlernen und auf ihre Forschung anwenden können. Zudem ermöglicht eine webbasierte Anwendung auf www.polarityjam.com die Durchführung zirkulärer statistischer Analysen – bei denen Daten analysiert werden, die von Natur aus zirkulär sind, wie z. B. Winkel oder die Ausrichtung zellulärer Strukturen im 3D-Raum – und die Visualisierung eigener Daten, ohne dass eine Software installiert werden muss. So können es mehr Menschen nutzen.

„Dank der Open-Source-Natur von Polarity-JaM können Forscher*innen, Entwickler*innen und die wissenschaftliche Community das Tool weiterentwickeln, verbessern und an neue wissenschaftliche Problemstellungen anpassen“, sagt Albrecht. Das Team plant nun, die Funktionen von PolarityJaM zu erweitern, um künftig zum Beispiel auch 3D-Gewebe und Organoide analysieren zu können. Zudem sollen weitere Funktionen hinzukommen, etwa die Analyse anderer subzellulärer Strukturen, Zeitrafferaufnahmen und dynamisches Tracking, um zu untersuchen, wie sich Zellpolarität im Laufe der Zeit verändert.


Originalpublikation: Wolfgang Giese, Jan Philipp Albrecht, Olya Oppenheim et.al. (2025): „Polarity-JaM: an image analysis toolbox for cell polarity, junction and morphology quantification.“ Nature Communications

Wissenschaftlicher Kontakt: 

Prof. Holger Gerhardt
Leiter der Arbeitsgruppe „Integrative vaskuläre Biologie“
Max Delbrück Center
Holger.Gerhardt(at)mdc-berlin.de 

Dr. Wolfgang Giese
Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe „Integrative vaskuläre Biologie“
Max Delbrück Center
Wolfgang.Giese(at)mdc-berlin.de

Quelle: Pressemitteilung des Max Delbrück Center