Ein akutes Koronarsyndrom – auch als Herzinfarkt bezeichnet – ist eine lebensgefährliche Durchblutungsstörung des Herzmuskels, die durch eine Verengung der Herzkranzgefäße verursacht wird. Dazu tragen Gefäßablagerungen – so genannte Plaques – bei, an denen sich Blutgerinnsel (Thromben) bilden können, die sich dann ablösen und Herzkranzgefäße verstopfen. Die Auslöser dieser Blutgerinnselbildung und damit des Herzinfarkts sind bisher nur unzureichend geklärt. Lange vermutete man, dass diese Blutgerinnsel ausschließlich durch einen Einriss (Ruptur) der Bindegewebshülle um die Ablagerung und die Freisetzung des darunterliegenden Materials entstehen. Neuere Befunde legen allerdings nahe, dass sie auch an intakten Gefäßablagerungen gebildet werden können. Wie diese Form der so genannten Plaque-Erosion zum Herzinfarkt beitragen kann, haben nun Forschende der Medizinischen Klinik für Kardiologie am Charité Campus Benjamin Franklin und am DZHK erstmals gezeigt.
In der OPTICO-ACS-Studie hat das Team um die beiden Studienleiter Prof. Dr. David M. Leistner und Klinikdirektor Prof. Dr. Ulf Landmesser, 170 Patientinnen und Patienten mit akutem Koronarsyndrom untersucht. Bei etwa 25 Prozent der Betroffenen konnten sie statt einer Ruptur eine Erosion der Gefäßablagerung als Ursache feststellen. „Unsere Studie liefert erstmals eine Erklärung, warum solche Plaque-Erosionen einen Herzinfarkt auslösen können: Es zeigte sich, dass die Plaque-Erosions-Stellen durch spezielle aktivierte Immunzellen – so genannte T-Lymphozyten – charakterisiert sind, die sich unter veränderten Flussveränderungen in der Wand von Herzkranzgefäßen ansammeln und dort zu einer Schädigung der Gefäßinnenwand beitragen können“, sagt Prof. Leistner, Erstautor der Studie.
Durch eine spezielle Bildgebungstechnik – die so genannte optische Kohärenztomographie (OCT) – gelang es den Forschenden, die infarktauslösenden Plaques hochauflösend darzustellen und zuverlässig in Ruptur oder Erosion als Herzinfarktauslöser zu unterteilen. Daraufhin wurde an der infarktauslösenden Stelle mit einem Absaugkatheter das Blutgerinnsel entfernt und zusätzlich Blut zur Untersuchung von Immunzellen und Entzündungsmarkern gewonnen. Bei den in etwa einem Viertel der Fälle durch eine Erosion verursachten Blutgerinnseln fand das Team eine veränderte Zusammensetzung von Immunzellen. Vermehrte CD4- und CD8-positive Lymphozyten sowie deren zytotoxische Effektormoleküle deuteten auf eine Entzündungsreaktion hin, durch die Endothelzellen der Gefäßinnenwand geschädigt werden. Die Blutgerinnsel fanden sich in diesen Fällen zudem häufiger in der Nähe von Gefäßverzweigungen, die durch spezielle Strömungsverhältnisse gekennzeichnet sind. Prof. Leistner ergänzt: „Um die Beobachtungen aus den Patientinnen und Patienten nochmals zu unterstreichen, konnten wir – entsprechend dem translationalen Ansatz unserer Studie – diese Erkenntnisse auch durch Zellkulturexperimente bestätigen.“
Somit können einem Herzinfarkt unterschiedliche pathophysiologische Ursachen zugrunde liegen. Der neu beschriebene Mechanismus umfasst vor allem ein fehlgeleitetes adaptives Immunsystem. „Nachdem sich das Konzept von immunmodulierenden Therapien in der kardiovaskulären Medizin als sicher und als effektiv erwiesen hat, liegt hier sicher ein interessanter Forschungsansatz, um bestimmte Ausprägungen des akuten Koronarsyndroms gezielter behandeln und so eventuell auch Folgeereignisse vermeiden zu können“, resümiert Prof. Landmesser, der auch Berlin Institute of Health (BIH)-Professor ist. Um eine gezielte Beeinflussung des Immunsystems zu ermöglichen, wird künftig genauer untersucht, welche Rolle die involvierten T-Lymphozyten spielen und wie sie sich in den Gefäßen ansammeln.
Originalpublikation: Leistner DM et al. Differential immunological signature at the culprit site distinguishes acute coronary syndrome with intact from acute coronary syndrome with ruptured fibrous cap: results from the prospective translational OPTICO-ACS study. Eur Heart J (2020), DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa703
Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Prof. Dr. David M. Leistner, Medizinische Klinik für Kardiologie, Campus Benjamin Franklin, Charité – Universitätsmedizin Berlin, david-manuel.leistner@charite.de
Quelle: Pressemitteilung Charité – Universitätsmedizin Berlin