Suchaktion im Genom - Genetischen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf der Spur

Rund 60 der drei Milliarden Genbausteine des Menschen liefern Hinweise darauf, dass in den benachbarten Genregionen Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen versteckt liegen könnten. Das fand ein internationales Konsortium in der weltweit größten „Suchaktion“ nach genetischen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen heraus, an der Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) maßgeblich beteiligt waren.

In genomweiten Assoziationsstudien können kleinste Unterschiede in der Erbsubstanz mit dem Auftrete einer Krankheit in Verbindung gebracht werden. Bild: DLR PT/BMBF
Prof. Jeanette Erdmann ist eine Autorin der Studie. Sie leitet das Institut für Integrative und Experimentelle Genomik der Universität Lübeck.
Ein weiterer Autor der Studie: Prof. Heribert Schunkert. Er ist Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen des Deutschen Herzzentrums in München.

Die Symptome einer Herz-Kreislauf-Erkrankung verlaufen bei den meisten Menschen sehr ähnlich. Bei einem Herzinfarkt etwa hat fast jeder Patient Brustschmerzen und Atemnot, in schweren Fällen kommt es zum Herzstillstand. Die Ursache ist in der Regel ein Blutgerinnsel, das die Herzkranzgefäße verstopft, sodass der Herzmuskel nicht mehr durchblutet wird und Herzmuskelzellen absterben. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Umweltweinflüsse und Lebensgewohnheiten können genauso eine Rolle spielen wie eine geerbte Veranlagung. Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören deshalb zu den komplexen Krankheiten, bei denen viele Faktoren darüber entscheiden, ob sie zum Ausbruch kommen. 

Zehn neue Genorte, die mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung stehen

Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) suchen nach Risikofaktoren für Krankheiten auf der Ebene der Erbsubstanz DNA (Genom). In solchen Studien fahnden die Forscher nach typischen Veränderungen im gesamten Genom, den sogenannten SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms, siehe Kasten), und schauen, ob diese Veränderungen bei Menschen mit bestimmten Krankheiten häufiger vorkommen. Ist dies der Fall, sagt das noch nichts darüber aus, ob die Veränderungen ursächlich mit der Krankheit zu tun haben. Sie sind aber mit der Krankheit assoziiert, stehen also auf eine bekannte oder unbekannte Weise mit ihr in Verbindung. Sie können so etwas über das statistische Risiko aussagen, mit dem ein Mensch eine Herz-Kreislauf-Erkrankung bekommen wird. 
Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) sind seit Jahren maßgeblich an internationalen Studien zur Aufklärung der genetischen Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beteiligt, so auch an der bislang größten GWAS-Studie, die weltweit im Bereich Herz-Kreislauf-Forschung durchgeführt wurde. Das Konsortium CARDIoGRAMplusC4D, bestehend aus mehr als 150 Partnern aus 20 Ländern, untersuchte neun Millionen SNPs in den Genomen von 60.000 Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder Herzinfarkt und verglich sie mit 125.000 gesunden Kontrollen. Das Konsortium veröffentlichte seine Ergebnisse kürzlich in Nature Genetics. Im Rahmen der Studie konnten die Forscher weitere zehn bislang nicht bekannte Genorte identifizieren, die in das Herz-Kreislauf-Geschehen involviert sind. Insgesamt kennt die weltweite Herz-Kreislauf-Forscherszene nun rund 60 Stellen im Genom, die mit Erkrankungen des Herzens und seiner Gefäße in Verbindung stehen könnten.

Trotz dieser beachtlichen Anzahl von neun Millionen SNPs ist das Bild der genetischen Risikofaktoren noch nicht komplett. Die Forscher werden in Zukunft noch mehr SNPs in noch größeren Patientenkollektiven untersuchen müssen, um ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten. Eine wichtige Ressource für solche zukünftigen Studien wird im DZHK die „OMICS-Ressource-Studie“ sein. Hier wird erstmalig, anders als bei den bisherigen GWAS-Studien, das gesamte Genom von 1.000 gesunden Personen sequenziert. Diese Untersuchungen dienen dann als Grundlage für Vergleiche mit Gruppen von Erkrankten.

Nur 20 Prozent der Genveränderungen stehen mit bekannten Risikofaktoren in Verbindung

Was machen die Forscher nun mit den 60 gefundenen Genorten? „Für uns sind das Hinweise auf molekulare Vorgänge bei koronarer Herzkrankheit und Herzinfarkt, die man eventuell für Therapien nutzen kann“, sagt Prof. Jeanette Erdmann, Direktorin des Instituts für Integrative und Experimentelle Genomik der Universität Lübeck, eine der Autorinnen der Studie. Die Forscher versuchen daher zunächst, Beziehungen zwischen SNP und einem oder mehreren Genen in der Nähe herzustellen. Zudem wird untersucht, ob diese SNPs noch mit anderen Merkmalen vergesellschaftet sind. Die Auswertung der Daten ergab, dass nur rund 20 Prozent der SNPs etwas mit bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder dem Cholesterinstoffwechsel zu tun haben. „Das zeigt uns, dass wir viele molekulare Prozesse bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen einfach noch nicht kennen“, sagt DZHK-Forscher Prof. Heribert Schunkert, Direktor des Deutschen Herzzentrums München, ein weiterer Koautor der Studie. 
Zudem fanden die Forscher heraus, dass die Genveränderungen vor allem in regulatorischen Bereichen zu finden waren. Das sind solche Bereiche der DNA, die nicht den Bauplan für Proteine enthalten, sondern das An- und Abschalten von kodierender DNA regulieren. Diese Effekte sind im Einzelnen nicht besonders ausgeprägt. Trägt jedoch eine Person mehrere solcher Veränderungen, so sind infolgedessen auch mehrere Gene fehlreguliert, in der Konsequenz führt dies zu einem erhöhten Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. 

Genveränderung für Gefäßwachstum bereits entschlüsselt

„Überall auf der Welt können Forschergruppen sich nun daran machen, neue Pathomechanismen von Kreislauferkrankungen aufzuklären“, sagt Erdmann über die Bedeutung der Studie. Gemeinsam sind die Arbeitsgruppen von Erdmann und Schunkert einem solchen Hinweis bereits nachgegangen und waren damit erfolgreich. Das Gen ADAMTS7 hatte im Rahmen der GWAS-Studie den Verdacht erregt, mit koronarer Herzerkrankung in Verbindung zu stehen. Die Forscher untersuchten Mäuse, bei denen dieses Gen ausgeschaltet war. Bei diesen regenerierte sich die innere Zellschicht der Blutgefäße nach einer Gefäßverletzung schneller, und das gefürchtete überschießende Wachstum der Intimaschicht blieb aus. Die Hemmung von ADAMTS7 könnte deshalb einen vielversprechenden Ansatz bieten, um nach einer Akutbehandlung eines Infarktes einem erneuten Infarkt individuell vorzubeugen. 

Originalpublikation:

A comprehensive 1000 Genomes-based genome-wide association meta-analysis of coronary artery disease. Nature Genetics 47, 1121–1130 (2015)

Ansprechpartner: 

Prof. Dr. Heribert Schunkert
Deutsches Herzzentrum München
Klinik an der Technischen Universität München
Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen
Lazarettstraße 36
80636 München
Tel.: 089 1218-4073
E-Mail: siebe@dhm.mhn.de 

Prof. Dr. Jeanette Erdmann
Universität zu Lübeck
Institut für Integrative und Experimentelle Genomik
Maria-Goeppert-Straße 1
23562 Lübeck
Tel.: 0451 500-5885
E-Mail: jeanette.erdmann@iieg.uni-luebeck.de 

Pressekontakt:

Christine Vollgraf
Deutsches Zentrum für
Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK)
Pressestelle
Oudenarder Straße 16
13347 Berlin
Tel.: 030 4593-7102
E-Mail: christine.vollgraf@dzhk.de 

Quelle: Newsletter 76 des Bundesministerium für Bildung und Forschung