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Nebenwirkungen neuer Medikamente auf das Herz frühzeitig erkennen


Neue Medikamente haben häufig Nebenwirkungen auf das Herz - mit einer neuen Methode können sie nun besser geprüft werden, noch bevor sie in klinischen Studien und damit am Menschen getestet werden. | © cassis - stock.adobe.com


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Wissenschaftler*innen der Universitätsmedizin und der Universität Göttingen haben eine neue Methode entwickelt, mit der die Nebenwirkungen neuer Wirkstoffe und Therapieansätze auf das Herz besser vorhersagbar sind. Der Vorteil: Diese Methode greift bereits in einer sehr frühen Testphase, noch bevor es zur Testung im lebenden Organismus kommt. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Cardiovascular Research veröffentlicht.

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Neu-entwickelte Medikamente und Therapieansätze haben häufig Nebenwirkungen auf das Herz. Vor der klinischen Erprobung und Anwendung steht daher die umfassende vorklinische Prüfung neuer Wirkstoffkandidaten, mit dem Ziel, potentielle Nebenwirkungen im Vorfeld bestmöglich auszuschließen. Derzeitige Verfahren erfassen jedoch meist nur einen Teil der möglichen Nebenwirkungen auf das Herz. Die Verbesserung der Testverfahren ist also essentiell, um das Risiko unerwünschter Begleiterscheinungen mit hoher Spezifität und Sensitivität vorherzusagen.

Gewebe aus Schweineherzen mit neuer Methode bis zu zwei Wochen haltbar für Testzwecke

Ein Team um DZHK-Wissenschaftler Prof. Dr. Dr. Tobias Brügmann, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Herz- und Kreislaufphysiologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), in Kooperation mit Prof. Dr. Tim Salditt, ebenfalls DZHK-Wissenschaftler und Direktor des Instituts für Röntgenphysik der Universität Göttingen, hat nun eine Möglichkeit entwickelt, frische Schnitte mit intaktem Herzgewebe über mehrere Tage in Kultur zu halten und dabei nachweislich die Vitalität und Funktionalität zu erhalten. Dies erlaubt es, die Effekte neuer potentieller Medikamente auf die elektrischen und kontraktilen Eigenschaften von Herzmuskelzellen und auf die allgemeine Gewebearchitektur zu erkennen, bevor die Wirkstoffe für Analysen im lebenden Organismus eingesetzt werden.

Beide Wissenschaftler sind Mitglieder im Göttinger Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC). Ziel des Exzellenzclusters ist es, den Zusammenhang von Herz- und Hirnerkrankungen zu verstehen. Seit Januar 2019 wird es im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert.

Zur Methode

Die Wissenschaftler*innen fertigen zunächst dünne (300 µm) Gewebeschnitte aus Schweineherzen an. Schweineherzen weisen eine sehr hohe Ähnlichkeit zu menschlichen Herzen auf, von denen es im Gegensatz zu anderen Organen kaum Möglichkeiten gibt, Proben für Wirkstoffstudien zu erhalten. Mit einem neu entwickelten Ansatz zur Kultivierung gelang es den Wissenschaftler*innen erstmals die Gewebeschnitte, die aus intaktem Herzmuskelgewebe bestehen, bis zu zwei Wochen lang in einem Brutschrank zu halten. Wie die Wissenschaftler*innen nachweisen konnten, bleibt über den gesamten Zeitraum nicht nur die äußere Form der Herzmuskelzellen erhalten, sondern auch ihre Vitalität und Funktionalität. Dies ist unbedingte Voraussetzung, um den Einfluss verschiedener Substanzen, wie beispielsweise neuer Wirkstoffe oder therapeutische Maßnahmen, zu erforschen.

Die generelle Eignung des Testverfahrens wurde zunächst mit Medikamenten überprüft, deren Einfluss auf das Herz bereits bekannt und gut beschrieben ist. Im Anschluss testeten die Wissenschaftler*innen, ob sie unter mehreren Medikamenten diejenigen identifizieren können, die Nebenwirkungen auf das Herz haben, was in jeglicher Hinsicht gelang. „Die möglichst frühe und verlässliche Identifizierung unerwünschter Nebenwirkungen auf das Herz ist sehr wichtig, um später die Gesundheit der Patient*innen in klinischen Studien nicht zu gefährden. Außerdem trägt sie dazu bei, die Kosten in der Medikamentenentwicklung zu senken,“ erklärt Prof. Dr. Dr. Brügmann. „Wir sind nun in der Lage, Wirkstoffe und auch neue Therapieansätze vorab viel umfassender auf ihre Tauglichkeit für den späteren Einsatz in klinischen Studien zu testen“, so Brügmann.


Originalpublikation: Shi R, Reichardt M, Fiegle DJ, Küpfer LK, Czajka T, Sun Z, Salditt T, Dendorfer A, Seidel T, Bruegmann T (2023) Contractility measurements for cardiotoxicity screening with ventricular myocar-dial slices of pigs. Cardiovascular Research, Volume 119, Issue 14, October 2023, Pages 2469–2481. DOI: 10.1093/cvr/cvad141

Quelle: Pressemitteilung Universitätsmedizin Göttingen